10 Forderungen an die Politik: Alleinerziehende fordern Strategien gegen Armut

Berlin, 11. Juni 2013. Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern ist kein privates Schicksal, sondern Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung. Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) fordert die Politik auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und wirkungsvolle Maßnahmen gegen das erschreckend hohe Armutsrisiko von Einelternfamilien zu ergreifen.

 

„Der Staat muss die Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern in allen Lebensphasen durch eine gleichstellungsorientierte Fa-milien-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verhindern“, fordert Edith Schwab, Bundesvorsitzende des VAMV. Zu den konkreten Forderungen gehören flexible und gebührenfreie Betreuungs- und Bildungseinrichtungen, das Eindämmen des Niedriglohnsektors durch einen Mindestlohn und das Abschaffen der Minijobs, eine existenzsichernde und teilhabeorientierte Ausgestaltung von Sozialleistungen sowie eine gerechte Familienbesteuerung.

 

Die negativen Folgen von Familienarmut auf Kinder müssen durch-brochen werden: „Der VAMV fordert in der Familienförderung den Systemwechsel hin zu einer Kindergrundsicherung – damit Kinder unabhängig von der Lebensform oder dem Einkommen ihrer Eltern jenseits von Armut leben können“, unterstreicht Schwab.

 

Im Rahmen der Fachtagung „Ohne Alternative – arm, ärmer, allein-erziehend? Familienarmut im Lebensverlauf“ machte der Vortrag von Prof. Dr. Ute Klammer deutlich, wie widersprüchliche Anreize im Lebensverlauf zum hohen Armutsrisiko von Alleinerziehenden beitragen: Während u.a. das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse Frauen in ein traditionelles Modell drängen, fordert das Unterhaltsrecht nach der Scheidung finanzielle Eigenverantwortung und Erwerbstätigkeit. Brüche im Lebens¬lauf werden besonders für Frauen zum Armutsrisiko. Prof. Dr. Stefan Sell stellte anschließend heraus, dass viele Alleinerziehende am Ar¬beitsmarkt in Minijobs und Niedriglöhnen ohne ausreichende Kinderbetreuung damit allein gelassen werden, ein armutsfestes Einkommen zu erwirtschaften.

 

Mit 43 Prozent haben Alleinerziehende und ihre Kinder das höchste Armutsrisiko aller Familien. Dieses ist seit Jahren konstant hoch. Im Bevölkerungsdurchschnitt liegt dieses Risiko bei 15 Prozent. Die Gefahr, in Langzeitarbeitslosigkeit zu leben, ist bei Alleinerziehenden mehr als doppelt so groß als im Bevölkerungsdurchschnitt.

 

 

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) fordert die Politik auf,
folgende Maßnahmen zu ergreifen, um Armut von Alleinerziehenden und ihren
Kindern zu bekämpfen:
1. Staat in Verantwortung: Armutspolitik als Querschnittspolitik umsetzen und
Schere zwischen Arm und Reich verkleinern


2. Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern in allen Lebensphasen durch
eine gleichstellungsorientierte Familien- und Arbeitsmarktpolitik verhindern


3. Sozialleistungen existenzsichernd und teilhabeorientiert anheben (SGB II, XII)


4. Einführung einer Kindergrundsicherung


5. Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt mit wirksamen Instrumenten
(Abschaffung Minijobs, Entgeltgleichheit, Quote, Teilzeitausbildung und -
studium ermöglichen) durchsetzen


6. Einführung eines gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohns –
Niedriglohnsektor eindämmen


7. Ausbau qualitativ hochwertiger, bedarfsgerechter und gebührenfreier
Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für alle Kinder, Schule als Sozialraum
gestalten


8. Unterhalt sichern: Zahlungsmoral stärken, Unterhaltsvorschuss ausbauen


9. Entlastungsbetrag in Steuerklasse II für Alleinerziehende deutlich anheben


10. Gesetzliche Rentenversicherung und den Erwerb eigener Rentenansprüche
von Frauen und Müttern stärken, Anerkennung von 3 Jahren
Kindererziehungszeiten in der Rente auch für vor 1992 geborenen Kinder


Der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bestätigt:
Alleinerziehende und ihre Kinder haben mit 43 Prozent nach wie vor das größte
Armutsrisiko aller Familien. Die Gefahr, in Langzeitarmut zu leben, ist bei ihnen mehr
als doppelt so groß wie im Bevölkerungsschnitt (15 Prozent). Auch insgesamt nimmt
die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in der Bevölkerung zu.
Dass ihre Kinder häufig in Armut leben müssen, ist eine schwere Last für
Alleinerziehende. Die meisten von ihnen verzichten auf eigene Belange und geben
alles, um ihren Kindern Teilhabe zu ermöglichen.
Alleinerziehende sind nicht überproportional arm weil sie allein erziehen, sondern
erstens weil sie größtenteils Frauen sind und zweitens weil sie Mütter sind. Ihre
Benachteiligung hat strukturelle Ursachen und ist mitnichten rein individuell
begründet. Der Gesetzgeber verlangt von Alleinerziehenden besonders seit der
Unterhaltsrechtsreform finanzielle Eigenständigkeit, doch die entsprechend
notwendigen Rahmenbedingungen fehlen jedoch. Derzeit sind es die
alleinerziehenden Frauen, die die langfristigen finanziellen Risiken einer Scheidung
tragen müssen.Diskontinuierliche Erwerbsbiographien wegen Familienaufgaben, Niedriglöhne,
Entgeltdiskriminierung, Teilzeit, Arbeitslosigkeit sowie ausbleibende
Kindesunterhaltszahlungen führen zu geringen Haushaltseinkommen bei
Alleinerziehenden. Vollzeitnahe existenzsichernde Arbeitsplätze sind auf dem
Arbeitsmarkt Mangelware. Nur die Hälfte der Alleinerziehenden erhält Unterhalt in
voller Höhe und regelmäßig. Fehlt der flexible Kitaplatz oder ein Platz in der
Ganztagsschule wird es sehr schwer, eine existenzsichernde Beschäftigung zu
finden.
Aber auch eine Erwerbstätigkeit schützt nicht unbedingt vor Armut. Niedriglöhne in
sogenannten frauentypischen Berufen oder nicht ausreichende Betreuungsplätze,
die Alleinerziehenden lediglich eine Teilzeiterwerbstätigkeit mit einem zu geringen
Stundenumfang ermöglichen, führen dazu, dass ein Drittel der Alleinerziehenden im
SGB II-Bezug ihr Gehalt aufstocken. In sechs Prozent dieser Fälle ist das trotz
sozialversicherungspflichtiger Vollzeittätigkeit notwendig.
Die Bemessung der Regelsätze im Mindestsicherungssystem (SGB II und SGB XII)
liegt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder unter der Armutsrisikoschwelle (60%
des Medians aller Einkommen), die im 4. Armuts- und Reichtumsbericht der
Bundesregierung aufgeführt ist. Sozialleistungen müssen Armut vermeiden. Auch
das Bildungs- und Teilhabepaket garantiert nicht das Existenzminimum an
soziokultureller Teilhabe, weder reicht die Höhe der Leistungen aus, noch kommen
die Sachleistungen bei allen Kindern auch tatsächlich an. Ein Mehr an Teilhabe für
alle Kinder würde die Ausgestaltung von Schule als Sozialraum erreichen (z.B.
Schulsoziarbeit und Freizeitangebote integrieren).
Armut von heute bedeutet oft auch Armut im Alter. Geringe Beitragszahlungen in die
gesetzliche Rentenversicherung sowie ein geringer Spielraum für private Vorsorge
werden dazu führen, dass insbesondere Frauen, die in ihrem Leben eine Phase des
Alleinerziehens erlebten, überproportional von Altersarmut betroffen sein werden.
Strukturelle Ursachen verlangen strukturelle Lösungsansätze.
Das Bundestagswahljahr bietet für die Bundesdelegiertenversammlung Anlass,
politischen Forderungen zur Verringerung von Familienarmut bei Alleinerziehenden
zu beschließen und im Wahlkampf an die Politik heran zu tragen. Es gilt, die
Perspektive von Alleinerziehenden einzubringen.
Um Armut von Alleinerziehenden und ihren Kindern zu bekämpfen, ist es daher
notwendig, Armutspolitik als Querschnittspolitik umzusetzen. Erst das
Zusammenwirken von Familien-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- und
Gleichstellungspolitik auf der Grundlage eines konsistenten Leitbildes der
eigenständigen finanziellen Absicherung von Erwachsenen mit Fürsorgepflichten
über den Lebensverlauf hinweg ermöglicht eine Verringerung von Familienarmut bei
Alleinerziehenden.
Der VAMV fordert als Familienförderung die Einführung einer Kindergrundsicherung
– damit Kinder unabhängig von der Lebensform oder dem Einkommen ihrer Eltern
jenseits von Armut leben können.